Schöpfung durch Evolution – Ein christlicher Zugang zur Evolution

Prof. Dr. Dr. Dr. Denis O. Lamoureux

Schöpfung durch Evolution bietet einen christlich-konservativen Ansatz zum Verständnis der Evolution an. Der Ansatz untersucht den biblischen Glauben und die Ergebnisse der Naturwissenschaften mittels des Modells der zwei göttlichen Bücher und schlägt eine komplementäre Beziehung zwischen Schrift und Naturwissenschaft vor. Das Buch der Worte Gottes offenbart den geistlichen Charakter der Welt, während das Buch der Werke Gottes den göttlichen Schöpfungsprozess offenbart. Diese Sicht der Ursprünge erkennt an, dass die Bibel durch eine antike Vorstellung von der Natur gekennzeichnet ist und lehnt daher einen naturwissenschaftlichen Konkordismus ab. Sie versteht biblische Offenbarung im Licht der Menschwerdung Jesu und behauptet, dass die Schrift sich an die Denkweise der Menschen der Antike anpasst. Schöpfung durch Evolution hält an der traditionellen Vorstellung der natürlichen Offenbarung fest. Intelligentes Design spiegelt sich auch im Prozess der Evolution wider. Dies führt zur Ablehnung einer Schöpfungsmethode Gottes, in der Gott nur Lückenfüller ist, und bekräftigt die Treue und Zuverlässigkeit des Schöpfers der evolutionären Mechanismen.

Schöpfung durch Evolution besagt, dass der Vater, der Sohn und der Heilige Geist das Universum und das Leben durch einen gottgewollten, fortschreitenden und Design-widerspiegelnden evolutionären Prozess erschaffen haben. Diese Sicht des Ursprungs integriert sowohl den Glauben des biblischen Christentums als auch die wissenschaftlichen Theorien der Kosmologie, der geologischen und der biologischen Evolution. Sie beinhaltet, dass der Schöpfer die Gesetze der Natur, einschließlich der Mechanismen einer zielorientierten Evolution, eingeführt hat und unterhält. Mit anderen Worten, Evolution ist ein geplanter natürlicher Prozess. Diese Position behauptet auch, dass Menschen sich aus vormenschlichen Vorfahren entwickelt haben und über einen längeren Zeitraum in das Bild Gottes verwandelt wurden und die menschliche Sünde sich allmählich und geheimnisvoll manifestierte. Vertreter einer Schöpfung durch Evolution erfahren die Liebe des Vaters und seine Gegenwart in ihrem Leben. Durch die Kraft des Heiligen Geistes tauchen sie tief in die Bibel ein und erfreuen sich einer ewigen Quelle der geistlichen Nahrung für ihre Seele. Und diese Evolution vertretenden Christen leben in einer persönlichen Beziehung zu dem HERRN Jesus, die immer mal wieder beeindruckende Antworten auf ihr Gebet sowie übernatürliche Zeichen und Wunder beinhaltet, aber oft auch einfach unspektakulär ist.

Zugegeben, die Auffassung »Schöpfung durch Evolution« scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Dies wäre tatsächlich der Fall, wenn die Begriffe »Evolution« und »Schöpfung« auf ihre populären Bedeutungen eingeschränkt wären. Das heißt, wenn »Evolution« mit einer atheistischen Weltanschauung verknüpft wäre, und wenn »Schöpfung« sich ausschließlich auf die Schöpfung in buchstäblich sechs Tagen vor ca. 6000 Jahren beziehen würde. Aber Vertreter einer Schöpfung durch Evolution lehnen dieses Schwarz-weiß-Denken über den Ursprung ab und bewegen sich jenseits der sogenannten »Schöpfung kontra Evolution«-Debatte. Bedauerlicherweise hält dieser verbreitete Ansatz die Menschen in einer Dichotomie gefangen, die ihnen nur diese zwei Möglichkeiten offen lässt, und ihre Fähigkeit, fundierte Entscheidungen zu treffen, begrenzt. Die Entweder/oder-Sichtweise bezüglich des Ursprungs hat dazu geführt, dass viele sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche annehmen, dass es einen Konflikt oder Krieg zwischen naturwissenschaftlichen Entdeckungen und christlichem Glauben gäbe. Der Ansatz Schöpfung durch Evolution lehnt dieses vereinfachende Verständnis der Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion ab und betont, dass die Ursprungsdichotomie eine falsche Dichotomie ist.

Das wichtigste Wort in dem Ausdruck Schöpfung durch Evolution ist das Substantiv »Schöpfung«. Die Evolution vertretenden Christen sind zuerst und vor allem völlig überzeugte Schöpfungsvertreter. Sie glauben, dass die Welt eine Schöpfung ist, die in jedem Augenblick ihrer Existenz völlig auf den Willen und die Gnade des Schöpfers angewiesen ist. Die qualifizierenden Wörter in diesem Ausdruck sind »durch Evolution«, die lediglich die Methode beschreiben, durch die der HERR den Kosmos und die Lebewesen gemacht hat. Diese Sicht des Ursprungs wird oft als »theistische Evolution« bezeichnet. Allerdings setzt eine solche Wortanordnung das Verfahren Evolution zum primären Ausdruck und macht den Schöpfer als lediglich bestimmendes Adjektiv sekundär. Solch eine Umkehrung in der Priorität ist für mich und andere Vertreter einer Schöpfung durch Evolution inakzeptabel.

Ein weiteres Argument für die Kategorie Schöpfung durch Evolution ist, dass das Wort »theistisch« heute eine solche Vielzahl von Bedeutungen trägt. Da es sich von dem üblichen griechischen Wort für Gott (theos) ableitet, bezieht sich die korrekte Definition von Theismus auf den Glauben an einen persönlichen Gott, wie es der Gott der Christenheit ist. Aber wie jeder weiß, gibt es viele verschiedene »Götter« in den Religionen und folglich auch zahlreiche Verwendungen dieses Wortes. Daher unterscheidet der Begriff Schöpfung durch Evolution konservative Christen, die Jesus lieben und die Evolution akzeptieren, von den evolutionären Interpretationen der Deisten (Glaube an den unpersönlichen Gott der Philosophen), Pantheisten (alles im Universum ist Gott), Panentheisten (die Welt ist Gottes Körper und Gott ist der Geist/die Seele der Welt), New-Age-Anhänger (Gott ist eine göttliche Kraft oder Organisation in der Natur) und liberalen Christen (Jesus ist nur ein aufgeklärter Mensch, der nie körperlich von den Toten auferstanden ist).

 

Die Analogie Embryonalentwicklung und Evolution

Um ihre Sicht des Ursprungs zu erklären, beginnen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution mit dem Hinweis auf die bemerkenswerte Parallele zwischen Evolution und menschlicher Embryonalentwicklung im Mutterleib. Sie argumentieren, dass das Handeln Gottes bei der Erschaffung eines jeden individuellen Menschen seiner Tätigkeit bei der Entstehung des Universums und des Lebens insgesamt ähnelt. Es zeigen sich vier Parallelen zwischen Embryonalentwicklung und Evolution:

Erstens, embryologische und evolutionäre Prozesse sind beide teleologisch und von Gott gewollt. Mit anderen Worten, die Erschaffung jeder Person und die Entstehung der ganzen Welt geschahen auf ein Ziel hin. Sie sind weder ein Glücksfall noch ein Irrtum. Bei der Empfängnis ist die DNA in einer befruchteten menschlichen Eizelle vollständig mit den notwendigen Informationen ausgestattet, damit sie sich während der neun Monate der Schwangerschaft zu einer Person entwickeln kann. In gleicher Weise hat der Schöpfer in den Urknall den Plan für den Kosmos und die Lebewesen, einschließlich des Menschen, hineingelegt und die Fähigkeit, sich über 10-15 Milliarden Jahre zu dem zu entwickeln, was wir jetzt vorfinden.

Zweitens, göttliches kreatives Handeln bei dem Werden jedes Menschen und letztlich allem in der Welt geschieht durch einen fortwährenden und kontinuierlichen natürlichen Prozess. Kein Christ glaubt, dass während er im Mutterleib war, der Herr aus dem Himmel kam und mächtig eingriff, um die Nase anzuheften, ein Auge einzusetzen oder den Gehörgang zu bohren. Vielmehr versteht jeder die Embryonalentwicklung als einen ununterbrochenen natürlichen Prozess, den Gott während der Schwangerschaft auf subtile Weise unterhält. In gleicher Weise behaupten Vertreter einer Schöpfung durch Evolution, dass bei der Schöpfung des Kosmos und der Lebewesen, einschließlich der Menschen, keine mächtigen göttlichen Interventionen benutzt wurden. Stattdessen ist Evolution ein ununterbrochener natürlicher Prozess, den der Herr durch die Äonen der Zeit hindurch aufrechterhält.

Drittens, sowohl die menschliche embryonale Entwicklung im Mikrokosmos der Gebärmutter als auch die Evolution im Makrokosmos der Welt spiegeln intelligentes Design wider. Das heißt, beide sind eine natürliche Offenbarung, verfasst vom Schöpfer. Bemerkenswerterweise sind dies non-verbale (lat. verbum: Wort) göttliche Offenbarungen, insofern als sie keine wirklichen Worte verwenden. Der Psalmist preist seinen Schöpfer: »Denn du bildetest meine Nieren. Du wobst mich in meiner Mutter Leib. Ich preise dich darüber, dass ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht bin.« (Ps 139,13-14). In einer ähnlichen Weise sehen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution die Evolution als »Web«-Prozess, dessen Ergebnis eine Welt ist, die ausruft, dass sie »erstaunlich und wunderbar gemacht« ist. Tatsächlich »erzählt« der Urknall »die Herrlichkeit Gottes« und die biologische Evolution »verkündet seiner Hände Werk« (Ps 19,2).

Schlussendlich sind sowohl mit den embryologischen als auch mit evolutionären Prozessen geistliche Geheimnisse verbunden. Menschen sind absolut einzigartig und unterscheiden sich von dem Rest der Schöpfung, weil sie die einzigen Geschöpfe sind, die das Bild Gottes tragen, und sie sind die einzigen, die in Sünde gefallen sind. Alle Jahrhunderte hindurch haben Christen darüber diskutiert, wo, wann und wie diese geistlichen Realitäten in der Entwicklung jedes Individuums erscheinen. Doch die Geschichte zeigt, dass die Kirche in diesen Fragen noch nicht zu einem Konsens gekommen ist, was zu der Schlussfolgerung führt, dass diese Fragen jenseits des menschlichen Verständnisvermögens liegen. Mit anderen Worten, sie sind Geheimnisse. In gleicher Weise glauben Vertreter einer Schöpfung durch Evolution, dass das Erscheinen der Gottesebenbildlichkeit und der Eintritt der Sünde in die Welt im Laufe der menschlichen Evolution ebenfalls Geheimnisse sind. Evolution vertretende Christen akzeptieren die Realität dieser geistlichen Wahrheiten ohne jeden Vorbehalt, geben aber zu, dass das Verstehen ihres Ursprungs völlig jenseits unserer natürlichen Erkenntnisfähigkeit liegt.

 

Intelligentes Design in der Natur

Um ihre Sichtweise der Ursprungsfrage weiter zu erklären, weisen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution andere bibeltreue Christen darauf hin, dass ihr Ansatz ein erweitertes und robusteres Verständnis von intelligentem Design in der Natur bietet. style="color: #333333;"> Der Begriff »Intelligent Design« ist heute ziemlich umstritten. Es ist wichtig, das biblische und traditionelle Verständnis von intelligentem Design von dem durch die »Intelligent Design-Bewegung« geförderten zu unterscheiden (»Intelligent Design Theory«, ID-Theorie, die z. B. von Phillip E. Johnson und Michael Behe vertreten wird). Letzteres schränkt den Designbegriff ein und behauptet, dass Design mit wunderhaften Eingriffen bei der Entstehung von lebenden Organismen verbunden ist (d. h. ein Lückenfüller-Gott vollbringt Wunder, um neue Geschöpfe und/oder fehlende Teile einzuführen). Zum Beispiel wird von Teilen der Zelle (wie beispielsweise der Geißel bestimmter Bakterien) gesagt, dass sie »irreduzibel komplex« seien, und als Folge davon könnten sie nicht durch natürliche Prozesse entstanden sein (Behe, 1996, S. 39; Lamoureux, 1999, S. 71–72; Johnson und Lamoureux, 1999, S. 19, 65–71). Folglich sollte die ID-Theorie eher als Interventionistische Design-Theorie bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu halte ich an der biblischen und christlichen Sicht des Intelligent Design fest, die einfach besagt, dass die Schöpfung jeden berührt, die Herrlichkeit Gottes verkündigt und seine ewige Kraft und göttliche Natur offenbart (Ps 19,1-4; Röm 1,18-20). Diese traditionelle Sichtweise von Design behauptet, dass die Schönheit, Komplexität und Funktionalität in der Welt die Menschen stark beeindruckt und die meisten dazu bringt zu glauben, dass diese Eigenschaften den Geist einer kreativen Intelligenz widerspiegeln. Diese Form des Design-Arguments als Beleg für die Existenz Gottes beruft sich auf mehr physikalische Befunde als das von Vertretern einer jungen Erde vorgeschlagene Design-Argument (göttliches Eingreifen schuf die ganze Welt vor 6000 Jahren in buchstäblich sechs Tagen; Gish, 1972; Ham, 1987; Morris und Whitcomb, 1961) oder als die Sichtweise einer progressiven (fortgesetzten) Schöpfung (göttliches Eingreifen führte zur Entstehung von Lebewesen zu unterschiedlichen Zeiten während sechs geologischer Perioden über einen Zeitraum von 4,5 Milliarden Jahren der Erdgeschichte; Ross, 1994, 2001). In einem Punkt stimmt Schöpfung durch Evolution mit diesen anti-evolutionären Positionen völlig überein, nämlich darin, dass in den in der Natur vorhandenen Strukturen und Abläufen Design offensichtlich ist. Betrachten Sie beispielsweise die komplexeste bekannte Struktur – das menschliche Gehirn. Dieses Organ ist ein elektrisches Schaltkreis-Wunderwerk mit Billionen von synaptischen Verbindungen, und unglaublich viele davon entwickeln sich bereits in der Gebärmutter, ausgehend von nur einer befruchteten Eizelle. Die Struktur, Funktion und embryologische Entwicklung des Gehirns weisen eine atemberaubende Eleganz und Komplexität auf und spiegeln damit das Werk eines intelligenten Urhebers wider, was nur von wenigen Christen bestritten wird.

In einem anderen Punkt geht Schöpfung durch Evolution über die anti-evolutionären Positionen hinaus und argumentiert, dass intelligentes Design auch und gerade in den Prozessen und Mechanismen der Evolution zum Ausdruck kommt. Das evolutionäre ID-Argument unterstreicht die Großartigkeit, Voraussicht und Rationalität, die sich in den natürlichen Prozessen widerspiegeln, die das Universum und das Leben im Verlauf unvorstellbarer Zeiträume schufen. Nach dieser Position ist die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung nicht nur in der Natur wie sie sich heute darbietet zu sehen, sondern umfasst auch die erstaunliche Eigenschaft der Selbstorganisation im Sinne eines eigenständigen Zusammenbauens der natürlichen Welt in der fernen Vergangenheit. Genauer gesagt: Design wird in den fein abgestimmten physikalischen Gesetzen und den Anfangsbedingungen deutlich, die für die Evolution des Kosmos seit dem Urknall nötig sind, und Design zeigt sich auch in den biologischen Prozessen, die nötig waren, damit sich Leben entwickeln konnte, einschließlich der Menschen mit ihren unglaublich komplexen Gehirnen (Barrow, Conway Morris, Freeland und Harper, 2009; Barrow und Tippler, 1986; Denton, 1998; McGrath, 2009). Dadurch dass der Ansatz Schöpfung durch Evolution evolutionäre Komponenten beinhaltet, vertritt er ein umfassenderes und stärkeres Design-Argument als die Formulierung, die von Vertretern einer jungen Erde und von Vertretern einer progressiven Schöpfung präsentiert wird. Der Ansatz sagt auch voraus, dass fortschreitende Evolutionsforschung einen mächtigeren, herrlicheren und planvolleren Schöpfer offenbaren wird, als zuvor in früheren Generationen geglaubt wurde. Es ist für viele eine Überraschung, dass Vertreter einer Schöpfung durch Evolution über ein stärkeres und umfassenderes Design-Argument für die Existenz Gottes verfügen als ihre christlichen Brüder und Schwestern, die sich gegen Evolution aussprechen.

Viele Menschen finden es heute schwierig, wenn nicht gar unmöglich, einen Zusammenhang zwischen Evolution und intelligentem Design zu sehen. Für diese Situation sind die führenden Vertreter der ID-Bewegung verantwortlich. Diese Evolutions-Gegner, von denen die meisten im Grunde Langzeit-Kreationisten sind, haben einen großen Keil zwischen Design und Evolution geschoben und damit eine Dichotomie geschaffen. Aber das ist eine weitere falsche Dichotomie. Lassen Sie mich eine Analogie benutzen, um die Perspektive eines Vertreters von Schöpfung durch Evolution zu erklären. Er vertritt die biblische Tatsache, dass die Natur intelligentes Design widerspiegelt und die naturwissenschaftliche Tatsache, dass das Universum und das Leben ausschließlich durch natürliche Prozesse entstanden sind.

Stellen Sie sich vor, dass Gottes schöpferisches Handeln bei der Entstehung der Welt wie der Stoß eines Billardstocks beim Billardspiel wäre. Teilen Sie die Kugeln in drei Gruppen auf und beschriften Sie sie mit den Worten »Himmel«, »Erde« und »Lebewesen«. Die schwarze Acht repräsentiert die Menschheit. Die Vertreter einer jungen Erde stellen den Schöpfer so dar, dass er einzelne Stöße, einen nach dem anderen, ausführt, ohne Fehlstoß, bis alle Kugeln vom Tisch sind. Kein Zweifel, das ist bemerkenswert. Ein Vertreter einer progressiven Schöpfung sieht den Eröffnungsstoß, der die Ausgangssituation der Kugeln aufbricht, als den Urknall an, aus dem das unbelebte Universum sich durch natürliche Prozesse entwickelt. Alle Billardkugeln, die mit den Worten »Himmel« und »Erde« beschriftet sind, wurden durch diesen ersten Schuss versenkt. Anschließend versenkt Gott die einzelnen Kugeln, die für die Lebewesen und die Menschen stehen. Dieser Prozess ist sogar noch beeindruckender.

Vertreter einer Schöpfung durch Evolution stellen fest, dass ein »Gott der Einzelstöße«, ebenso wie ein »Lückenfüller-Gott«, der die Welt durch wiederholtes Eingreifen schuf, nicht der Macht und Voraussicht eines vollkommenen Designers entsprechen. In der hier stattdessen vertretenen christlichen Evolutionsanschauung ist der Eröffnungsstoß so fein abgestimmt und unglaublich präzise, dass nicht nur alle Kugeln mit einem Stoß versanken, sondern auch in der richtigen Reihenfolge fielen. Es beginnt mit den als Himmel markierten Kugeln, dann kommen die Erde-Kugeln, gefolgt von den Lebewesen-Kugeln und schließlich der schwarzen Acht – der wichtigsten Kugel im Billardspiel, die die Menschen repräsentiert. Und als Höhepunkt dieser Analogie zieht der HERR diese letzte Kugel aus der Versenkung und hält sie in seinen Händen, um sein persönliches Engagement am und für den Menschen zu zeigen. Ist ein solcher Gott nicht unendlich begabter als der Gott der Evolutionsleugner? Werden seine ewige Kraft und göttliche Natur nicht am besten durch das letzte Beispiel mit dem perfekten einmaligen Stoß illustriert? Bietet nicht die Darstellung des Schöpfers durch die Vertreter einer Schöpfung durch Evolution die großartigste Widerspiegelung von intelligentem Design? Das ist meine Sicht von Design in der Evolution. Doch trotz der unterschiedlichen Auffassungen unter den Christen darüber, wie intelligentes Design in der Welt entstanden ist, dürfen wir nie vergessen, dass uns der Auftrag vereint, zu bezeugen, dass die Natur deutlich die gestaltende Intelligenz unseres Schöpfers widerspiegelt.

 

Die Interpretation der biblischen Berichte über den Ursprung

Das größte Problem, das bei der Ansicht Schöpfung durch Evolution entsteht, ist, dass die traditionelle wörtliche Auslegung der ersten Kapitel der Heiligen Schrift verloren geht. Die Kirchengeschichte zeigt, dass die meisten Gläubigen die biblischen Berichte über die Ursprünge so verstanden haben, dass es sich um eine Aufzeichnung der tatsächlichen historischen Ereignisse handelt. Noch beunruhigender ist für Vertreter einer Schöpfung durch Evolution die Tatsache, dass die Autoren des Neuen Testaments, darunter auch Jesus selbst, wenn sie sich auf 1.Mose 1-11 beziehen, diese als wörtliche Geschichte auffassen (Mt 19:4-6; Röm 5,12-14; Hebr 4,4-7; 2 Petr 2,4-5). Daher lautet die brennende Frage nun: »Wie legen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution die ersten Kapitel der Heiligen Schrift aus?«

Als Antwort auf diese Frage legen die Evolution vertretenden Christen zunächst ohne jeden Vorbehalt Wert auf die grundlegenden Prinzipien der biblischen Offenbarung. Wie Hebräer 1,1-2 eindeutig feststellt: »Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat«. Vertreter einer Schöpfung durch Evolution fügen auch gerne die Feststellung des Theologen George Eldon Ladd an, dass »die Bibel das Wort Gottes ist, das im Laufe der Geschichte in den Worten der Menschen gegeben wurde« (Ladd, 1967, S. 12; siehe auch Sparks, 2008). Anders ausgedrückt, der Heilige Geist inspirierte die biblischen Autoren an einem bestimmten Punkt in der antiken Geschichte, indem er ihre Sprache, literarischen Gebräuche und Ideen, einschließlich ihrer Vorstellung von der natürlichen Welt, benutzte. Die antiken intellektuellen Voraussetzungen der inspirierten Schriftsteller wurden nicht beiseite gesetzt, sondern in dem Prozess der biblischen Offenbarung verwendet. Evolution vertretende Christen verteidigen die Ansicht, dass es zweifellos Naturwissenschaft in der Bibel gibt, sogar modernste Wissenschaft. Allerdings handelt es sich um die Wissenschaft, die vor ein paar tausend Jahren im antiken Orient modern und aktuell war. Und wie die meiste Wissenschaft, wurde sie im Laufe der Zeit verbessert oder wurde komplett durch ein besseres Verständnis der Natur ersetzt.

Vertreter einer Schöpfung durch Evolution erkennen, dass die Anfangskapitel der Heiligen Schrift eine besondere literarische Gattung bilden. Das heißt, es handelt sich um ein einzigartiges Genre, und die meisten Bibelwissenschaftler sehen 1.Mose 1-11 als eine eigene literarische Einheit an. Folglich müssen konservative Christen heute die unverwechselbare Eigenart dieser biblischen Passagen berücksichtigen und lernen, nicht ihre modernen Annahmen, Erwartungen oder Vorstellungen in sie hinein zu lesen. Es ist von grundlegender Bedeutung, die literarische Gattung anzuerkennen, die der Heilige Geist in der biblischen Offenbarung benutzte, um die unfehlbaren Botschaften des Glaubens zu erfassen. Insbesondere 1.Mose 1-11 ist gekennzeichnet von Theologie, antiker Naturwissenschaft und antiker Poesie.

1. Theologie

Zuallererst besteht der Zweck von 1.Mose 1-11 darin, eine Theologie des Schöpfers und seiner Schöpfung unter besonderer Berücksichtigung der Menschen zu entfalten. Diese vom Heiligen Geist inspirierte Offenbarung umfasst grundlegende Wahrheiten des christlichen Glaubens: Gott schuf die Welt, die Schöpfung ist sehr gut, die Menschen sind die einzigen Wesen, die im Bild Gottes geschaffen sind, jeder Mann und jede Frau ist in Sünde gefallen, und Gott richtet die Menschheit wegen ihrer sündigen Handlungen. Dies sind Botschaften des Glaubens, die Leben verändern und auf denen ein Leben aufgebaut sein muss, um von überdauernder Freude und Erfolg gekennzeichnet zu sein. Vertreter einer Schöpfung durch Evolution behaupten, dass diese Theologie mit Hilfe eines antiken wissenschaftlichen Verständnisses der Natur und antiker poetisch-literarischer Techniken überliefert wird. So wie der HERR unabhängig davon, wo wir uns gerade befinden, jedem von uns persönlich begegnen kann, ließ sich der Heilige Geist individuell auf das Niveau der antiken biblischen Schriftsteller herab und gebrauchte ihre Auffassung der materiellen Welt und ihren literarischen Stil, um die unfehlbaren geistlichen Wahrheiten so effektiv wie möglich mitzuteilen.

Schöpfung durch Evolution erkennt also an, dass die ersten Kapitel des ersten Buches Mose durch zwei grundlegende Komponenten gekennzeichnet sind: die Botschaft des Glaubens (unfehlbare Theologie) und eine zufällige Verpackung, die diese göttliche Offenbarung enthält (antike Naturwissenschaft/antike Poesie). Die Kennzeichnung der Verpackung als »zufällig« geschieht nicht in der Absicht anzudeuten, dass sie unwichtig sei. Im Gegenteil, die antike Naturwissenschaft und die antike Poesie sind absolut unerlässlich, um die ewigen Nachrichten an ein Publikum in der Antike zu übermitteln. Sie funktionieren wie ein Becher, der das »lebendige Wasser« enthält (Joh 4,10). Aber diese Merkmale der Schrift sind nicht die lebensverändernden geistlichen Wahrheiten. Andere Naturwissenschaften und literarische Techniken hätten zu anderen Zeiten der Geschichte zum Transport der gleichen Offenbarung verwendet werden können. Würde zum Beispiel 1.Mose 1 heute geschrieben, könnte der literarische Stil durchaus auch ein wissenschaftliches Format mit mathematischen Formeln beinhalten, und das im Text verwendete wissenschaftliche Naturverständnis könnte die Entdeckungen der modernen evolutionären Kosmologie, Geologie und Biologie ausdrücken. Vertreter einer Schöpfung durch Evolution betonen, dass es für das Verständnis der biblischen Berichte über den Ursprung von entscheidender Bedeutung ist, die Botschaft des Glaubens von der zufälligen antiken Verpackung zu trennen.

Die 3-Stockwerke-Welt. Die lokal
geprägte Geografie führte die Menschen des antiken Nahen Ostens zu dem
plausiblen Schluss, dass die Erde von einem Meer umgeben war. Reisen in
alle Richtungen führten schließlich zu einem Gewässer: das Mittelmeer
befindet sich im Westen, das Schwarze und Kaspische Meer im Norden, der
Persische Golf im Osten und das Arabische und Rote Meer im
Süden.

Abbildung 1. Die 3-Stockwerke-Welt.

Die lokal geprägte Geografie führte die Menschen des antiken Nahen Ostens zu dem plausiblen Schluss, dass die Erde von einem Meer umgeben war. Reisen in alle Richtungen führten schließlich zu einem Gewässer: das Mittelmeer befindet sich im Westen, das Schwarze und Kaspische Meer im Norden, der Persische Golf im Osten und das Arabische und Rote Meer im Süden.*

2. Antike Naturwissenschaft

In 1.Mose 1-11 zeigen sich antike Vorstellungen von der Struktur, der Funktionsweise und dem Ursprung des Universums und des Lebens. Abbildung 1 zeigt, wie die Welt von altorientalischen Völkern, einschließlich Gottes auserwähltem Volk, den Hebräern, verstanden wurde (Lamoureux, 2008; Seely, 1989; Walton, 2006). Es mag die meisten Bibel lesenden Christen vielleicht überraschen, aber Gottes Wort redet von einer 3-Stockwerke-Welt. Einige dieser antiken Vorstellungen von der natürlichen Welt sind:

  1. Die Erde ist flach. Das Wort »Erde« erscheint über 2500 Mal im Alten Testament (Hebräisch: eretz) und 250 Mal im Neuen Testament (Griechisch: ge). Nicht ein einziges Mal wird dieses Wort auf etwas kugelförmiges bezogen. Stattdessen wird das Universum in der Schrift mit einem Zelt verglichen, dessen Boden die Erde ist (Ps 19,5; Ps 104,2; Jes 40,22).

  2. Ein ringförmiges Meer begrenzt eine kreisrunde Erde. Sprüche 8,22-31 und Hiob 26,7-14 beschreiben die Erschaffung der Welt. Die erste Stelle erklärt: »Als [der HERR] einen Kreis abmaß über der Fläche der Tiefe« (V.27) und die zweite: »Eine Schranke hat [Gott] als Kreis über der Fläche des Wassers gezogen« (V.10). Die Bibel behauptet, dass die Erde in dieser Weise rund ist. Jesaja schreibt: »[Gott ist es,] der da thront über dem Kreis der Erde, dass ihre Bewohner wie Heuschrecken [erscheinen], der den Himmel ausspannt wie einen Schleier und ihn ausbreitet wie ein Zelt zum Wohnen« (Jes 40,22).

  3. Die Erde ist unbeweglich. Die Bibel berichtet dreimal, dass »die Erde fest steht, sie wird nicht wanken« (1 Chr 16,30; Ps 93,1; Ps 96,10). Die Stabilität der Erde wird wie die eines Gebäudes verstanden, das auf ein solides Fundament gesetzt ist. Die biblischen Schriftsteller beziehen sich häufig auf diese festen Fundamente als »die Grundfesten der Erde« (Hiob 38,4-6; Spr 8,29; Jer 31,37; Elb). Zum Beispiel: »[Gott] hat die Erde gegründet auf ihre Grundfesten. Sie wird nicht wanken immer und ewig.« (Ps 104,5).

  4. Ein fester Kuppelbau hält einen Wasserkörper über der Erde. Die Wölbung, die am zweiten Tag geschaffen wurde, trennt die »Wasser oberhalb der Wölbung« von den »Wassern unterhalb der Wölbung« (1.Mo 1,6-8). Bemerkenswert ist, dass diese himmlische Kuppel und der Wasserkörper nicht während der Sintflut zusammengebrochen sind. Wie die Psalmen aus den Tagen Davids verraten: »Der Himmel erzählt die Herrlichkeit Gottes, und das Himmelsgewölbe verkündet seiner Hände Werk.« (Ps 19,2), und Gott »spannt den Himmel aus gleich einer Zeltdecke, errichtet seine Obergemächer in den Wassern« (nach Ps 104,2-3).

  5. Die Sonne bewegt sich am Himmel. Sie wurde am vierten Tag geschaffen und an das Himmelsgewölbe gesetzt. Die tägliche Bewegung der Sonne findet man von König Solomo beschrieben: »Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht [unter], und sie strebt ihrem Ort zu, wo sie [wieder] aufgeht.« (Pred 1,5, Elb). Sie erscheint auch im Lob des Psalmisten: »Vom Ende des Himmels geht sie aus und läuft um bis an sein Ende« (Ps 19,7, Elb).

Natürlich weisen viele Christen schnell darauf hin, dass alle oben zitierten Bibelstellen nur »Erscheinungsbilder« der Natur sind. Das heißt, es sind phänomenologische Beschreibungen (Griechisch phainomenon: Aussehen). Die Erde sieht unbeweglich aus, sie scheint von Wasser umgeben zu sein, und fühlt sich unbeweglich an; der Himmel vermittelt den Eindruck, ein blauer Wasserkörper hoch oben zu sein; und die Sonne scheint das Himmelsgewölbe zu durchqueren, indem sie täglich auf- und untergeht. Für die Völker der Antike genau wie für die biblischen Autoren sind dies jedoch Beschreibungen der tatsächlichen Struktur und Funktionsweise des Universums. Wie die Geschichte zeigt, war die Vorstellung, dass die Erde unbeweglich ist und die Sonne sich täglich am Himmel bewegt, bis ins frühe siebzehnte Jahrhundert Bestandteil der Astronomie. Genau dies war das Thema des Streits um Galilei (Russell, 1991).

Die Bibel benutzt in der Tat eine phänomenologische Sprache, um die natürliche Welt zu beschreiben. Aber es gibt einen entscheidenden und feinen Unterschied zwischen dem, was die biblischen Schriftsteller sahen und im Universum für real hielten, und dem, was wir sehen und als wissenschaftliche Tatsache kennen. In der antiken Welt war das Beobachten auf die menschlichen Sinne, wie das bloße Auge, beschränkt. Heute haben wissenschaftliche Instrumente, wie Teleskope, unsere Sicht und das Verständnis des Kosmos erweitert. Deshalb ist es wichtig zu erkennen, dass Aussagen in der Bibel über die Natur aus einer antiken phänomenologischen Perspektive stammen. Die Autoren der Bibel und andere antike Völker hielten das, was sie mit ihren Augen sahen, für die Wirklichkeit, wie den buchstäblichen Aufgang und Untergang der Sonne. Im Gegensatz dazu sehen wir die Welt aus einer modernen phänomenologischen Perspektive. Wenn wir die Sonne aufgehen und untergehen sehen, wissen wir, dass es nur so scheint bzw. sich um einen visuellen Effekt durch die Erdrotation handelt. Es ist daher entscheidend, dass diese unterschiedlichen Sichtweisen der Natur nicht verwechselt und vermengt werden. Das ist gerade das Problem bei dem in den Kirchen oft gehörten Argument der »phänomenologischen Sprache« (oder Argument der »poetischen Sprache«) – es liest die antike Naturwissenschaft in der Heiligen Schrift durch die Brille einer modernen Denkweise und Perspektive. Dies sollte unbedingt korrigiert werden. Wir müssen unsere Bibel mit den Augen der Antike lesen. Abbildung 2 unterscheidet zwischen antiker und moderner phänomenologischer Perspektive.

Phänomenologische
Perspektiven.

Abbildung 2. Phänomenologische Perspektiven.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Völker der Antike auch die Entstehung des Lebens aus einem antiken phänomenologischen Blickwinkel verstanden. Eine biologische Evolution kam gar nicht in Betracht, weil in den Augen der Menschen der Antike Hühner Eier legten, aus denen immer wieder Hühnerküken schlüpften, Schafe nur Lämmer gebaren und Frauen ausnahmslos Mütter von Menschenkindern wurden. Lebende Organismen waren folglich statisch und änderten sich nie grundsätzlich. In ihren Ursprungsentwürfen nutzten die Menschen der Antike diese täglichen Erfahrungen und projizierten sie zurück auf den Anfang der Schöpfung. Antike Völker kamen zu dem sehr vernünftigen Schluss, dass die Lebewesen (und das Universum) sehr schnell und vollständig geschaffen worden sein müssen, »nach ihrer Art«, wie es zehn Mal in 1.Mose 1 heißt. Man bezeichnet dies als »De-novo-Schöpfung« (lat. de: von; novus: neu) und es war die beste wissenschaftliche Erklärung des Ursprungs aller Dinge in der damaligen Zeit. Sie erscheint in den meisten antiken Schöpfungsberichten und erfordert ein oder mehrere göttliche Wesen, das bzw. die zügig durch eine Reihe von machtvollen Eingriffen handelten. Dadurch entstanden dann komplett fertige kosmologische Strukturen und voll ausgereifte Lebewesen (Leeming und Leeming, 1994). Damit wird deutlich, dass das Modell des Lückenfüller-Schöpfergottes letzten Endes in der De-novo-Schöpfung, einer antiken Unsprungsvorstellung bzw. einer antiken Naturwissenschaft, verwurzelt ist.

Anzuerkennen, dass das Wort Gottes durch eine antike Naturwissenschaft gekennzeichnet ist, ist für die meisten konservativen Christen beunruhigend, weil sie glauben, dass auch Aussagen über die Natur in der Schrift unfehlbar und absolut wahr sind. Viele gehen davon aus, dass der Heilige Geist wissenschaftliche Fakten in der Bibel tausende von Jahren vor ihrer Entdeckung durch die moderne Naturwissenschaft offenbarte (Morris, 1974, S. 229; Ross, 1994, S. 154). Mit anderen Worten, diese Christen akzeptieren einen »Konkordismus« (oder besser einen »naturwissenschaftlichen Konkordismus«). Sie halten es für selbstverständlich, dass es eine Übereinstimmung oder Harmonisierung von Heiliger Schrift und Naturwissenschaft gibt. Im Gegensatz dazu suchen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution nicht nach Entschuldigungen für die offensichtliche antike Naturwissenschaft in Gottes Wort. Stattdessen versuchen sie den vom Heiligen Geist gewirkten Prozess der Offenbarung im Lichte dieses besonderen Merkmals zu verstehen. In der gleichen Weise wie die kraftvollen Botschaften des Glaubens in der Schrift unser Herz durchdringen und unseren Geist umgestalten (Hebr 4,12; Röm 12,2), behaupten Evolution vertretende Christen, dass die zufällige antike Naturwissenschaft in der Bibel auch unser Verständnis von der biblischen Irrtumslosigkeit durchdringen und umgestalten muss.

Vertreter einer Schöpfung durch Evolution stören sich nicht an der Tatsache, dass die Schrift eine antike Wissenschaft enthält. Was das betrifft, erwarteten sie es geradezu und ziehen eine Parallele zu Gottes größter Offenbarungstat – der Menschwerdung (Enns, 2005; Lamoureux, 2008, S. 169–176). Der Schöpfer kam nicht nur vom Himmel herab und nahm in der Person von Jesus Menschengestalt an, sondern er nahm auch die Denkmuster jener Zeit an. Der HERR sprach Aramäisch, die Umgangssprache in Palästina im ersten Jahrhundert, und er predigte in Gleichnissen, die zeigen, dass er die alltäglichen Gedanken und Vorstellungen der damaligen Menschen nutzte. Zum Beispiel knüpfte Jesus oft an die landwirtschaftlichen Kenntnisse seiner Zuhörer an: in den Gleichnissen vom Sämann (Mk 4,1-9), vom Unkraut des Ackers (Mt 13,24-30) und vom Senfkorn (Mt 13,31-32). Von besonderem Interesse ist hierbei das letzte Gleichnis. Der HERR benutzt die Botanik jener Zeit, die besagte, dass das Senfkorn »das kleinste unter allen Samenkörnern« ist, während wir heute wissen, dass viele Samen, wie z. B. Orchideensamen, viel kleiner sind. Mit anderen Worten, Jesus passte sich dem Kenntnisstand seines antiken Publikums an bzw. stieg auf ihren Kenntnisstand hinab.

In dieser Weise – vergleichbar mit dem oben skizzierten Lehrdienst des HERRN – ist die antike Naturwissenschaft in den biblischen Berichten über den Ursprung der Welt eine Anpassung des Heiligen Geistes an die Vorstellungswelt der inspirierten biblischen Autoren und ihrer Leser. Sie dachten beispielsweise, dass das Blau des Himmels ein Wasserkörper war, den Gott am zweiten Schöpfungstag gemacht hatte. Aber die moderne Naturwissenschaft hat festgestellt, dass dies lediglich ein visueller Effekt ist, der auf die Streuung des kurzwelligen Lichtes in der oberen Atmosphäre zurückzuführen ist. Trotz dieser grundverschiedenen Auffassungen von der Welt, bleibt die unfehlbare Botschaft des Glaubens unerschütterlich: der blaue Körper/Effekt am Himmel wurde von Gott geschaffen. Vertreter einer Schöpfung durch Evolution betonen, dass es für die Theologie irrelevant ist, ob Aussagen über die Natur in der Schrift wissenschaftlich korrekt sind und die physische Realität beschreiben oder nicht. Die kraftvollen geistlichen Wahrheiten über die Welt transzendieren die zufällige Verpackung der antiken Naturwissenschaft, die sie transportiert. Oder anders ausgedrückt, der biblische Schöpfungsbegriff konzentriert sich nicht darauf, wie Gott geschaffen hat, sondern dass Er geschaffen hat.

3. Antike Poesie

1.Mose 1-11 enthält antike Poesie. Natürlich trägt der Begriff »Poesie« eine Reihe von Bedeutungen. Aber nach der grundlegendsten Definition bezieht er sich einfach auf einen strukturierten Schreibstil im Gegensatz zu einer frei fließenden Erzählung.

1.Mose 1: Parallele Tafeln des
Schöpfungsberichts.

Abbildung 3. 1.Mose 1: Parallele Tafeln des Schöpfungsberichts.

Abbildung 3 zeigt, dass der Sechs-Tage-Schöpfungsbericht sich in zwei parallele Tafeln gliedern lässt. Der Bericht beginnt mit dem Geist Gottes, der über einer wüsten und leeren Erde schwebt, die in Dunkelheit gehüllt und von Wasser bedeckt ist. Die Beschreibung der Erde, bei der sich reimende hebräische Wörter benutzt werden (tohu: formlos; bohu: leer), zieht sofort die Aufmerksamkeit der Leser in der Antike auf sich und deutet auf die Struktur von 1.Mose 1 hin. In den ersten drei Tagen beschäftigt sich Gott mit dem Problem der Formlosigkeit, während er in den letzten drei Tagen die Leere beseitigt. Zwischen den beiden Tafeln erscheinen verblüffende Parallelen. Am ersten Tag der Schöpfung machte Gott das Licht. Dies entspricht der Schaffung von Sonne, Mond und Sternen am vierten Tag. Dann schied der Schöpfer am zweiten Tag das Wasser oberhalb der Wölbung von dem Wasser unterhalb der Wölbung und stellte damit einen Luftraum für Vögel und ein Meer für Meerestiere zur Verfügung, die am fünften Tag gemacht wurden. Am dritten Schöpfungstag befiehlt Gott dem trockenen Land sichtbar zu werden. Dies geschieht in Erwartung der Landtiere und Menschen, die während des sechsten Tages geschaffen wurden. Der sogenannte »Widerspruch« von der Erschaffung des Lichtes vor der Sonne verschwindet, wenn die Tafel-Struktur der Schöpfungserzählung beachtet wird. Offensichtlich handelt es sich um eine poetische Stilfigur seitens des inspirierten Schreibers.

1.Mose 6-9:
Flutbericht-Chiasmus.

Abbildung 4. 1.Mose 6-9: Flutbericht-Chiasmus.

Abbildung 4 zeigt, dass antike Poesie auch in Noahs Flutbericht erscheint. 1.Mose 6-9 ist als Chiasmus gestaltet. Dies ist ein übliches literarisches Stilmittel altorientalischer Schriftsteller, einschließlich der vom Heiligen Geist inspirierten biblischen Autoren (Waltke, 2001). Eine chiastische Struktur besteht aus zwei Teilen. Die erste Hälfte ist ein Spiegelbild der zweiten Hälfte, bei dem die Ideen oder Wörter in umgekehrter Reihenfolge erscheinen. Besonders auffällig ist beim biblischen Flut-Chiasmus die jeweils übereinstimmende Anzahl der Tage: 7, 40 und 150. Eine solche Technik erleichterte es den Völkern der Antike, sich diese Berichte zu merken. Insbesondere lenkt der Chiasmus die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Zentrum der Struktur und die zentrale Botschaft des Abschnitts, die im Flutbericht darin besteht, dass Gott des Noah gedachte (1.Mo 8,1). Die zentrale geistliche Wahrheit dieses Abschnitts für Bibelleser aller Generationen ist daher, dass der HERR der gerechten Männer und Frauen gedenkt, trotz mancher Flut von Schwierigkeiten, die sie überschwemmen und nach unten ziehen mag.

Angesichts der poetischen Strukturen des biblischen Schöpfungsberichts und des Flutberichts zweifeln Vertreter einer Schöpfung durch Evolution daran, dass 1.Mose 1-11 einen historischen Bericht von tatsächlichen Ereignissen darstellt. Wie die meisten Christen wissen, ereignet sich wahre Geschichte einfach nicht in Chiasmen und parallelen Strukturen. Entwickelte sich beispielsweise die Geschichte Israels als Nation in einem Chiasmus? Ist die Kirchengeschichte in einer Struktur von parallelen Tafeln abgelaufen? Oder geschahen der Dienst, der Tod und die Auferstehung Jesu nach solchen brillant gestalteten poetischen Strukturen? Die Antwort auf all diese Fragen lautet »nein«, weil diese Beispiele tatsächliche historische Ereignisse sind. Im Gegensatz dazu fordern uns die poetischen Strukturen in 1.Mose 1-11 heraus, diese Abschnitte nicht als buchstäbliche Geschichtsdaten zu lesen. Das heißt, die Bibel selbst weist von der traditionellen wörtlichen Auslegung weg.

Wenn allerdings vorgeschlagen wird, dass die ersten Kapitel der Bibel kein Bericht der tatsächlichen Ereignisse bei der Entstehung des Universums und des Lebens sind, so klingt dies für die meisten konservativen Christen bedrohlich. Jedoch untergräbt das Gottes Wort in keinster Weise. Der Heilige Geist hat diese Abschnitte inspiriert, und sie sind der Mittelpunkt des christlichen Glaubens. Vielmehr zweifelt dieser Vorschlag nur unsere traditionelle Annahme an, dass naturwissenschaftlicher Konkordismus ein unfehlbares Merkmal von 1.Mose 1-11 sei. Natürlich ist es naheliegend, eine Übereinstimmung oder Harmonisierung zwischen Schrift und Naturwissenschaft zu suchen. Schließlich ist Gott zugleich Schöpfer der Welt und Autor der Bibel. Aber die Frage ist: Ist wissenschaftlicher Konkordismus wahr? Und die Antwort lautet »nein«, weil das Wort Gottes durch eine antike Naturwissenschaft gekennzeichnet ist. Wieder einmal zeigt die Schrift selbst von der traditionellen wörtlichen Auslegung weg.

Folglich müssen Christen heute beim Lesen der biblischen Ursprungsberichte die unfehlbare Botschaft des Glaubens von ihrer zufälligen antiken naturwissenschaftlichen und poetischen Verpackung trennen statt sie zu verschmelzen. Als Schriftauslegungsprinzip ist hier hilfreich, nach der Botschaft einer Begebenheit zu fragen (Ereignis-Botschaft-Prinzip). Dies kann leicht veranschaulicht werden an einem der wichtigsten Abschnitte im Neuen Testament – dem kenotischen Hymnus (Christushymnus) in Philipper 2,5-11. Der Apostel Paulus hebt die Tatsache hervor, dass Gott sich selbst erniedrigte und in der Person Jesu bis auf die Ebene der Menschen herabkam. Am Ende des Abschnitts heißt es dann:

Darum hat Gott ihn [Jesus] über alles erhöht und ihm den Namen geschenkt, der über allen Namen steht: Denn vor dem Namen Jesus wird einmal jedes Knie gebeugt; von allen, ob sie [1] im Himmel sind, [2] auf der Erde oder [3] unter ihr. Und jede Zunge wird bekennen: »Jesus Christus ist der Herr!« So wird Gott, der Vater, geehrt. (V.9-11 NeÜ; Ziffern zur Verdeutlichung der Struktur ergänzt)

Leider geben englische und deutsche Bibeln das griechische Original nicht im ursprünglichen Sinn wieder. »Unter der Erde« sollte mit »die Unterwelt« übersetzt werden (siehe Abbildung 1). Tatsächlich bezieht sich das griechische Wort katachthonion in diesem Vers auf die Wesen unten (kata) im chthonischen, d. h. unterirdischen, Reich (chthonios) – vgl. Mt 12,40; Eph 4,9-10; 1.Petr 3,19. Dennoch ist die Botschaft des Glaubens in diesem Abschnitt klar – Jesus ist der Herr der ganzen Schöpfung. Und Paulus liefert diese unfehlbare geistliche Wahrheit, indem er die zufällige Naturwissenschaft seiner Zeit benutzt – die 3-Stockwerke-Welt. Ebenso müssen wir in den ersten Kapiteln von 1.Mose die ewige Botschaft von ihrer zufälligen Verpackung trennen, wie in Abbildung 5 dargestellt.

1.Mose 1-11 und das
Ereignis-Botschaft-Prinzip.

Abbildung 5. 1.Mose 1-11 und das Ereignis-Botschaft-Prinzip.

 

Die beiden sich ergänzenden Bücher Gottes

Vertreter einer Schöpfung durch Evolution sind der althergebrachten Überzeugung, dass die göttliche Offenbarung von zwei Hauptquellen her fließt – dem Buch der Worte Gottes und dem Buch der Werke Gottes. Diese Position vertritt eine komplementäre, d. h. sich ergänzende Beziehung zwischen Schrift und Naturwissenschaft im Verständnis von Ursprungsfragen. Das lateinische complere, von dem sich das Wort »komplementär« ableitet, bedeutet »vollenden« und »vervollständigen«. Das Verb »komplementieren« bezieht sich auf die Handlung des Hinzufügens von etwas Fehlendem, um etwas zu vervollständigen. Daher fügen sich die beiden »Bücher Gottes« zu einem Ganzen zusammen; alleine sind sie unvollständig. Die Naturwissenschaft zeigt, wie der Schöpfer die atemberaubend Design-widerspiegelnde Welt gemacht hat, während die Bibel genau erklärt, wer sie geschaffen hat – Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Das überzeugendste Argument für eine Schöpfung durch Evolution ist, dass sie sowohl den biblischen Glauben als auch die moderne Naturwissenschaft ohne Vorbehalte akzeptiert. Diese Position befreit uns von den Ketten der Ursprungsdichotomie und dem Mythos, dass Naturwissenschaft und Religion gegeneinander kämpfen müssen. Diese beiden Ansichten haben viele kluge Denker während des größten Teils des zwanzigsten Jahrhunderts beschäftigt. Der Ansatz Schöpfung durch Evolution erfüllt die Sehnsucht einer naturwissenschaftlich orientierten Generation, die nach spiritueller Bedeutung sucht. Insbesondere bietet sie eine intellektuell befriedigende Weltsicht für diejenigen, die den HERRN in einer persönlichen Beziehung erleben und seine Schöpfung durch die Naturwissenschaft erforschen (F. Collins, 2006; Falk, 2004; Lamoureux, 2008, 2009; Miller, 2003). Obwohl diese Position anerkennt, dass Naturwissenschaft und Religion in ihren jeweils eigenen Bereichen tätig sind, leidet sie nicht unter einer geistigen Schizophrenie, die entsteht, wenn man beide in isolierte luftdichte Kammern steckt. Stattdessen ist Schöpfung durch Evolution durch eine ganzheitliche Weltsicht gekennzeichnet und freut sich über einen respektvollen und fruchtbaren Dialog zwischen der besten heutigen Naturwissenschaft und den Grundlagen des historischen Christentums.

Vertreter einer Schöpfung durch Evolution genießen die Befreiung von einem naturwissenschaftlichen Konkordismus. Anstatt die Worte der Heiligen Schrift aus ihren sprachlichen und historischen Zusammenhängen zu reißen, um sie mit moderner Naturwissenschaft zu harmonisieren, sind diese Christen angesichts der offensichtlich antiken Wissenschaft in der Bibel weder verlegen noch entschuldigen sie sich dafür. Zum Beispiel gibt es keine Notwendigkeit, das hebräische Wort raqia zu verdrehen und zu manipulieren (traditionell und am besten als »Firmament« bzw. »Feste« übersetzt), und dann zu behaupten, dass es sich auf die Atmosphäre oder den Weltraum beziehe (Beale, 2008; C. Collins, 2004; Lamoureux, 2008; Ross, 2001). Die Schrift stellt eindeutig fest, dass Gott eine harte Kuppel am Himmel schuf, und Vertreter einer Schöpfung durch Evolution erkennen, dass dies eine vom Heiligen Geist vorgenommene Akkomodation, d. h. Anpassung, an die Vorstellungswelt der Völker der Antike ist, um die Botschaft des Glaubens zu offenbaren, dass ER der Schöpfer von Himmel und Erde ist. Angesichts der antiken Naturwissenschaft in Gottes Wort ist es offensichtlich, dass die Bibel nicht ein Buch ist, in dem naturwissenschaftliche Fakten vor ihrer Entdeckung in der Moderne offenbart wurden, sondern stattdessen ein Buch mit unfehlbaren, lebensverändernden geistlichen Wahrheiten.

Evolution vertretende Christen sind auch befreit von der Idee eines Lückenfüller-Gottes. Diese Idee der göttlichen Schöpfungsmethode sieht den Schöpfer als einen bastelnden Einmischer, der sporadisch in die Welt eingreift, um weitere Geschöpfe und/oder fehlende Teile hinzuzufügen. Gemäß dieser Sicht war Gottes ursprüngliche Schöpfung noch unvollständig. Doch anstatt nach »Lücken« zu suchen, wo Gott angeblich eingriff um diese zu füllen, behaupten Vertreter einer Schöpfung durch Evolution, dass Seine göttliche Macht sich in der robusten Eigenschaft der Selbstkonstruktion des evolutionären Kontinuums des Lebens zeigt, von den ersten Molekülen bis zum Menschen. Und anstatt den Rückzug des Schöpfers aus der Welt zu fürchten, weil die vermeintlichen »Lücken« in der Naturerklärung verlorengehen, begrüßen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution neue Entdeckungen, die unsere Wissenslücken füllen und sehen diese als Ausdruck der Herrlichkeit Gottes an. Insbesondere naturwissenschaftliche Fortschritte, die mit Evolution zu tun haben, bestätigen die Zuverlässigkeit von Gottes natürlichen Prozessen in einer sich stetig entwickelnden Schöpfung.

Schöpfung durch Evolution ist die einzige christliche Sichtweise von Ursprungsfragen, die eine vereinheitlichende Sicht der Naturwissenschaft bietet. Sie postuliert gerade nicht, dass diejenigen, die bestimmte naturwissenschaftliche Disziplinen ausüben, intellektuell inkompetent oder geistlich blind wären (Johnson, 1997, S. 11, 115; Morris, 1982, S. 75; Morris, 2000). Es gibt keine Unterscheidung zwischen den Naturwissenschaften, die sich mit dem tagtäglichen Funktionieren der Welt beschäftigen, und denjenigen, die ihre in der Vergangenheit liegenden Ursprünge erforschen. Schöpfung durch Evolution trennt auch nicht Evolutionsbiologie von Kosmologie und Geologie. Einige Schöpfungsvertreter, die an eine junge Erde glauben, haben beispielsweise eine gespaltene Auffassung von Wissenschaft. Auf der einen Seite lehnen sie die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Evolutionsforschung ab. Doch auf der anderen Seite unterstützen und nutzen diese Evolutionsgegner modernste Technik und Medizin, die auf denselben naturwissenschaftlichen Prinzipien basiert. In gleicher Weise misst die Vorstellung der progressiven (fortgesetzten) Schöpfung die Naturwissenschaften mit zweierlei Maß. Sie akzeptiert die Erkenntnisse der Kosmologie und Geologie in Bezug auf die Entstehung und Entwicklung des unbelebten Universums, aber lehnt die Erkenntnisse der Biologie ab, die zeigen, dass das Leben evolviert ist. Dadurch wird das alle Naturwissenschaften vereinende Prinzip der Evolution beiseite gesetzt.

Allerdings sind dies falsche Dichotomien, die letztendlich aus der Annahme resultieren, dass die Heilige Schrift naturwissenschaftlichen Konkordismus verlange, und von der Auffassung, dass die Lücken der derzeitigen naturwissenschaftlichen Kenntnisse Gottes schöpferisches Eingreifen erfordern. Im Gegensatz dazu betonen Vertreter einer Schöpfung durch Evolution die Einheit und Kohärenz aller Naturwissenschaften, weil wissenschaftliche Entdeckungen letztlich in Gott verwurzelt sind. Sie glauben, dass der Schöpfer eine Welt gemacht hat, die den von ihm festgesetzten und aufrecht erhaltenen Naturgesetzen und natürlichen Prozessen treu folgt, und sie sind der Überzeugung, dass er uns mit einem wunderbaren Verstand und der Fähigkeit, die uns umgebende Welt zu erforschen, begabt hat. Durch die Naturwissenschaft können wir Gottes Gedanken nachdenken und Seine Methode entdecken, mit der er das Universum und das Leben schuf. In der Tat glauben Evolution vertretende Christen, dass jede naturwissenschaftliche Disziplin ein Geschenk vom HERRN ist, einschließlich der Evolutionsforschung.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Schöpfung durch Evolution eine gesunde und ausgewogene komplementäre Beziehung zwischen moderner Naturwissenschaft und christlichem Glauben bietet. Es sei angemerkt, dass der Kampf der Kirche gegen Galileis Astronomie im frühen siebzehnten Jahrhundert eine wertvolle Hilfe für die Einordnung der Evolutionsforschung und der biblischen Berichte über den Ursprung bietet. Diese historische Episode führte viele Gläubige zu der Erkenntnis, dass die Bibel kein naturwissenschaftliches Lehrbuch ist, sondern ein Buch der Erlösung. Christen, die Evolution als Schöpfungsmethode Gottes akzeptieren, sind besonders von dem berühmten Aphorismus angeregt, den Galilei populär gemacht hat: »Die Absicht des Heiligen Geistes ist es, uns zu lehren: wie geht man in den Himmel – und nicht, wie der Himmel geht« (Finocchiaro, 1989, S. 96). Mit diesem Gedanken, übertragen auf die heutige Kirche, möchten Evolution vertretende Christen ihre Brüder und Schwestern in Christus ermutigen zu verstehen:

Die Absicht der Bibel ist es, uns zu lehren, dass Gott der Schöpfer ist, und nicht, wie Vater, Sohn und Heiliger Geist geschaffen haben.

 

Prof. Dr. Dr. Dr. Denis O.
Lamoureux Denis O. Lamoureux ist außerordentlicher Professor für Naturwissenschaft und Religion am St. Joseph College der Universität von Alberta (Kanada). Lamoureux, der Doktortitel in Theologie, Biologie und Zahnmedizin hat, konzentriert seine Forschungen auf die moderne Kontroverse in der Ursprungsfrage. Er vertritt die Ansicht, dass »der Vater, der Sohn und der Heilige Geist das Universum und das Leben durch einen gottgewollten, fortgesetzten und Design-widerspiegelnden evolutionären Prozess geschaffen haben«. Sein Hauptwerk ist das Buch »Evolutionary Creation«, in dem er argumentiert, dass der einfache Entweder/oder-Ansatz in der Ursprungsfrage die Menschen davon abhält, gut fundierte Entscheidungen zu treffen.

Originaltitel dieses Artikels: «Evolutionary Creation: A Christian Approach to Evolution«.

Eine erste Fassung erschien im Juni 2003 unter dem Titel  «Evolutionary Creation: Beyond the Evolution vs. Creation Debate« in Crux, 39 (2), 14-22. Die hier vorliegende Version beinhaltet weitere Gedanken aus den Büchern «Evolutionary Creation: A Christian Approach to Evolution« (2008) und «I Love Jesus and I Accept Evolution« (2009) desselben Autors.

Eine weitere Fassung des englischen Essays (allerdings ohne Literaturangaben) findet sich bei BioLogos.org: http://biologos.org/uploads/projects/Lamoureux_Scholarly_Essay.pdf

Eine überarbeitete Fassung erschien 2010 unter dem Titel «Evolutionary Creation: Moving Beyond the Evolution Versus Creation Debate« in Christian Higher Education, 9:1 (2010), 28-48.

Deutsche Übersetzung: Kerstin und Mark Marzinzik http://www.schöpfung-durch-evolution.de

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Artikel als PDF-Datei:

http://www.schoepfung-durch-evolution.de/media/Lamoureux-Schoepfung-durch-Evolution.pdf

Literaturhinweise

Alle Bibelstellen, wenn nicht anders angegeben, werden nach der Elberfelder Bibel, Revision 2006 (Witten: SCM R. Brockhaus) zitiert.

Barrow, J., Conway Morris S., Freeland, S., & Harper, C. (Hrsg.). (2009): Fitness of the cosmos for life: Biochemistry and fine tuning. Cambridge, UK: Cambridge University Press.

Barrow, J. D., & Tippler, F. J. (1986). The cosmological anthropic principle. Oxford, UK: Oxford University Press.

Beale, G. K. (2008). The erosion of inerrancy in evangelicalism: Responding to the new challenges to biblical authority. Wheaton, IL: Crossway Books.

Behe, M. J. (1996). Darwin’s black box: The biochemical challenge to evolution. New York: Free Press.

Collins, C. J. (2004). Genesis 1–4. A linguistic, literary, and theological commentary. Phillipsburg, NJ: P & R Publishing.

Collins, F. S. (2006). The language of God: A scientist presents evidence for belief. New York: Free Press.

Denton, M. J. (1998). Nature’s destiny: How the laws of biology reveal purpose in the universe. New York: Free Press.

Enns, P. (2005). Inspiration and incarnation: Evangelicals and the problem of the Old Testament. Grand Rapids, MI: Baker Academic.

Falk, D. R. (2004). Coming to peace with science: Bridging the worlds between faith and biology. Downers Grove, IL: InterVarsity Press.

Finocchiaro, M. A. (Ed.). (1989). The Galileo affair: A document history. Berkeley: University of California Press. 48

Gish, D. T. (1972). Evolution: The fossils say no! San Diego, CA: Creation-Life Publishers.

Ham, K. (1987). The lie: Evolution. Green Forest, AR: Master Books. Johnson, P. E. (1997). An easy-to-understand guide for defeating Darwinism by opening minds. Downers Grove, IL: InterVarsity Press.

Johnson, P. E., & Lamoureux, D. O. (1999). Darwinism defeated? The Johnson- Lamoureux debate on biological origins. Vancouver, Canada: Regent College Publishing.

Ladd, G. E. (1967). New Testament and criticism. Grand Rapids, MI: Eerdmans.

Lamoureux, D. O. (1999). A black box or a black hole? A response to Michael J. Behe. Canadian Catholic Review, 17 (3), 68–73.

Lamoureux, D. O. (2008). Evolutionary creation: A Christian approach to evolution. Eugene, OR: Wipf and Stock.

Lamoureux, D. O. (2009). I love Jesus and I accept evolution. Eugene, OR: Wipf and Stock.

Leeming, D. A., & Leeming, M. A. (1994). Encyclopedia of creation myths. Santa Barbara, CA: ABC-CLIO, Inc.

McGrath, A. E. (2009). A fine-tuned universe: The quest for God in science and theology. The 2009 Gifford Lectures. Louisville, KY: Westminster John Knox Press.

Miller, K. B. (Ed.) (2003). Perspectives on an evolving creation. Grand Rapids, MI: Eerdmans.

Morris, H. M. (1974). Many infallible proofs. San Diego, CA: Creation Life Publishers.

Morris, H. M. (1982). The troubled waters of evolution. San Diego, CA: Creation Life Publishers.

Morris, H. M. (2000). Strong delusion. Back to Genesis in Acts and Facts, 133(1), a–d.

Morris, H. M., & Whitcomb, J. C. (1961). The Genesis flood: The biblical record and its scientific implications. Phillipsburg, NJ: Presbyterian and Reformed Press.

Ross, H. (1994). Creation and time: A biblical and scientific perspective on the creation- date controversy. Colorado Springs, CO: NavPress.

Ross, H. (2001). The Genesis question: Scientific advances and the accuracy of Genesis (2nd ed.). Colorado Springs, CO: NavPress.

Russell, J. B. (1991). Inventing the flat earth: Columbus and modern historians. New York: Praeger.

Seely, P. H. (1989). Inerrant wisdom: Science and inerrancy in biblical perspective. Port land, OR: Evangelical Reformed.

Sparks, K. L. (2008). God’s word in human words: An evangelical appropriation of critical biblical scholarship. Grand Rapids, MI: Baker Academic.

Waltke, B. K. (2001). Genesis: A commentary. With Cathi J. Fredricks. Grand Rapids, MI: Zondervan.

Walton, J. H. (2006). Ancient Near Eastern throught and the Old Testament: Introduc ing the conceptual world of the Hebrew Bible. Grand Rapids, MI: Baker Academic.

Originally published in June 2003 as «Evolutionary Creation: Beyond the Evolution
vs. Creation Debate« in Crux, 39 (2), 14-22. Revised and includes modified excerpts from
my books Evolutionary Creation: A Christian Approach to Evolution (2008) and I Love Jesus and
I Accept Evolution (2009). Now republished as "Evolutionary Creation: Moving Beyond the Evolution Versus Creation
Debate," Christian Higher Education, 9:1 (2010), 28-48


Das Titelbild dieses Artikels ist eine Collage folgender Bilder:

  1. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Creation_of_Adam.jpg (Public Domain)

  2. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Human_evolution_scheme.svg (By M. Garde (Self work (Original by: José-Manuel Benitos)) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/), via Wikimedia Commons])

Die Idee zu der Collage stammt aus dem Buch Und Gott schuf Darwins Welt von Hansjörg Hemminger (Brunnen Verlag 2009).