Hinweise auf symbolische Elemente im Schöpfungsbericht

Kerstin Marzinzik

Wenn Gott diese Welt mittels Evolution geschaffen hat, kann der Schöpfungsbericht nicht wortwörtlich verstanden werden. Deshalb bleibt zu untersuchen, ob es Hinweise auf symbolische Elemente in den ersten Kapiteln der Bibel gibt.

Die beiden Bäume im Garten Eden

Neben den vielen Bäumen im Garten Eden, die begehrenswert anzusehen und gut als Nahrung waren (1.Mo 2,9), gab es noch zwei weitere Bäume, den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Es ist sehr fraglich, ob diese Bäume als Bäume im wörtlichen Sinne verstanden werden sollen und können. Der Nahrungsaufnahme dienten sie jedenfalls nicht. Das wird nur von den anderen im gleichen Vers erwähnten Bäumen gesagt, während das Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen strikt untersagt war (1.Mo 2,16-17). Bezüglich des Baumes des Lebens gibt es weder die Erlaubnis noch das Verbot des Essens (erst nach dem Sündenfall, vgl. 1.Mo 3,22.24). Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass es eine „Power-Frucht“ gibt, die durch (vielleicht nur einmaligen Verzehr) ewiges Leben ermöglicht. Zwar wissen wir, dass eine gesunde Ernährung das Leben verlängern kann – aber ewiges Leben ist auch dadurch (nach dem Sündenfall) nicht möglich. Das ist vielleicht ein erster Hinweis darauf, dass dieser Baum eher eine symbolische Funktion hat.

Noch deutlicher ist die Sachlage beim Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Es klingt nicht sehr überzeugend, dass es eine Frucht gab, durch deren Verzehr ein Mensch plötzlich Gut und Böse erkennen und unterscheiden konnte. Wir wissen, dass gesunde Nahrung das Wohlbefinden im Allgemeinen und auch die Gehirnfunktion im Besonderen unterstützen und verbessern kann. Aber nur durch Essen bestimmter Nahrung lernt man leider nichts Neues. Wer eine Nahrung für Englischvokabeln entdecken würde, wäre schnell Millionär. Dagegen ist Lernen ein mühsamer Prozess. Dazu muss das Gehirn aktiv mit Informationen versorgt werden – oft sogar wiederholt, damit man nicht gleich wieder vieles vergisst (man denke z. B. an das Vokabellernen in der Schule). Und es ist sehr fraglich, ob sich die Biologie des Menschen durch den Sündenfall so grundlegend geändert hat, dass das Essen einer Frucht die Erkenntnis von Gut und Böse bewirkte.

Der „Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen“ und das Verbot Gottes können folglich als eine symbolische Veranschaulichung dessen angesehen werden, dass der Mensch sich über tierisch-instinktives Verhalten hinwegsetzen und moralische Entscheidungen treffen kann.

Der Baum des Lebens in der Offenbarung

Interessant ist auch ein Blick in das Buch der Offenbarung – das in gewissem Sinne als Gegenstück zum Schöpfungsbericht verstanden werden kann. In 1.Mo geht es um die Anfänge (Anfang der Welt; Anfang der Menschheit; Anfang Israels), in der Offenbarung um das Ende. In den ersten Kapiteln der Bibel finden wir „Prophetie rückwärts“ (kein Mensch war dabei, als Gott das Universum schuf – Gott musste den Menschen hinterher offenbaren, war er getan hat), in der Offenbarung dagegen „Prophetie vorwärts“ (Gott offenbart das Zukünftige). In der Prophetie wird oft eine symbolische Sprache verwendet, weil zukünftige Dinge das Vorstellungsvermögen der Menschen, die zu einer viel früheren Zeit leben, übersteigt. Das liegt vor allem daran, dass sowohl politische als auch technische Entwicklungen und die daraus resultierenden Veränderungen einfach nicht vorhersehbar sind. Vieles, was heute selbstverständlich ist (z. B. Mobiltelefon, Internet), wäre noch vor 100 Jahren gar nicht denkbar gewesen. Deshalb ist in diesem Fall symbolische Sprache unausweichlich (vgl. Artikel [Wörtlich oder symbolisch?][2]). Wenn wir dagegen auf die Anfänge zurückblicken, haben wir es mit Gottes Genialität und Schöpferkraft zu tun, die unser menschliches Handeln weit in den Schatten stellt. Deshalb sollte es nicht verwundern, wenn Gott auch bei der Beschreibung der Anfänge symbolische Sprache benutzt bzw. benutzen muss.

Interessant ist nun, dass auch in der Offenbarung ein Baum des Lebens erwähnt wird – insgesamt vier Mal!

Off 2,7: Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem werde ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, welcher in dem Paradies Gottes ist.

Off 22,2: In der Mitte ihrer Straße und des Stromes, diesseits und jenseits, [war der] Baum des Lebens, der zwölf[mal] Früchte trägt und jeden Monat seine Frucht gibt; und die Blätter des Baumes [sind] zur Heilung der Nationen.

Off 22,14: Glückselig, die ihre Kleider waschen, damit sie ein Anrecht am Baum des Lebens haben und durch die Tore in die Stadt hineingehen!

Off 22,19: [...] und wenn jemand [etwas] von den Worten des Buches dieser Weissagung wegnimmt, so wird Gott seinen Teil wegnehmen von dem Baum des Lebens und aus der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben ist.

Den Überwindern aus der Gemeinde in Ephesus wird verheißen, dass sie vom Baum des Lebens essen werden. Ist es nötig, dass wir im Himmel noch bestimmte Früchte essen, um ewig zu leben? Hat Jesus nicht allen, die an ihn glauben, ewiges Leben versprochen und sogar garantiert (Joh 3,16; 10,28; 11,26)?

Essen und Trinken sind nötig, um das irdische Leben aufrecht zu erhalten. Aber das ewige Leben ist ein Geschenk Gottes, das wir nicht durch bestimmte Nahrungsmittel erhalten müssen. Der Baum des Lebens ist ein Bild für Jesus Christus, der „das Leben“ ist und jedem, der an ihn glaubt, ewiges Leben schenkt.

Joh 14,6: Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.
Joh 11,25: Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist
Joh 3,16: Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.
Joh 3,36: Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.

Am Rande sei noch die Parallele zwischen 1.Mo 3,7 und Off 16,15 erwähnt.

1.Mo 3,7: Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

Off 16,15: Siehe, ich komme wie ein Dieb. Glückselig, der wacht und seine Kleider bewahrt, damit er nicht nackt umhergehe und man nicht seine Schande sehe!

Die erste Erkenntnis, die der Mensch nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis hatte, war die, dass er nackt war. Adam und Eva waren buchstäblich nackt, d. h. sie trugen keine Kleidung und schämten sich dafür. Schlimmer aber war, dass ihre Sünde „nackt“ und unbedeckt vor Gottes Augen stand. Wie auch unser ganzes Leben mit allen seinen bösen Taten – Sünden:

Hebr 4,13: […] und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.

Deshalb ist der Rat aus Off 16,15, zu wachen und die Kleider zu bewahren, so wichtig. In diesem Vers ist kein körperliches Nacktsein gemeint, sondern ein geistliches. Die Schande unserer Sünden ist vor Gottes Augen aufgedeckt; wir stehen quasi nackt vor ihm, wenn wir uns nicht von Jesu Blut reinwaschen lassen (Hebr 9,14; 1.Joh 1,7) und mit seiner Gerechtigkeit „bekleiden“ (vgl. Jes 61,10; im Neuen Testament findet man diesen Ausdruck nicht, dafür werden die Christen dort aufgefordert, Jesus Christus „anzuziehen“ bzw. die christlichen Tugenden: Röm 13,14; Kol 3,12+14).

Selbst das Nacktsein von Adam und Eva hat neben der wörtlichen noch eine symbolische Bedeutung und ist ein Bild für die von ihnen begangene Schande.

Parallelen zwischen dem Garten in Eden – und der Stiftshütte/dem Tempel

Interessant ist auch, dass die ganze Anlage des Gartens Eden „symbolisch“ ist – genauer gesagt: ein Abbild des himmlischen Heiligtums. Das mag vielleicht überraschend klingen, denn explizit wird dies in der Bibel nur von der Stiftshütte bzw. dem Tempel gesagt:

Hebr 8,5: [… Priester …] – die dem Abbild und Schatten der himmlischen Dinge dienen, wie Mose eine göttliche Weisung empfing, als er im Begriff war, das Zelt aufzurichten; denn »Sieh [zu]«, spricht er, »dass du alles nach dem Muster machst, das dir auf dem Berge gezeigt worden ist!«.

Hebr 9,24: Denn Christus ist nicht hineingegangen in ein mit Händen gemachtes Heiligtum, ein Abbild des wahren [Heiligtums], sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen

Roger Liebi (der allerdings an einer 6-Tage-Schöpfung festhält) zeigt in seinem Buch „Der Messias im Tempel“ (S.584-586), dass es zahlreiche Parallelen zwischen dem Tempel und dem Garten Eden, dem Paradies, gibt:

[Roger Liebi benutzt den Begriff Paradies. In der Septuaginta, der Griechischen Übersetzung des AT, wurde das Wort gan (= Garten) in 1Mo 2,8 mit paradeisos übersetzt. Im NT findet sich dieser Begriff an folgenden drei Stellen: Luk 23,43; 2Kor 12,4; Off 2,7.]

  1. Osteingang: Der Eingang des Paradies-Gartens war genau wie das eigentliche Tempelhaus und die Stiftshütte nach Osten ausgerichtet (1.Mo 3,24; 2.Mo 27,13-16; 38,13-15; Hes 8,16).
  2. Abgegrenztes Gebiet: Das Wort „Paradies“ (griech. Paradeisos) kommt vom altpersischen Begriff pairidaêza, was so viel wie „eingezäuntes Gebiet“ bedeutet. Der Garten Eden war gegenüber dem Gebiet rundherum abgegrenzt, genauso wie der Vorhof der Stiftshütte.
  3. Berglage: Aus der Tatsache, dass in Eden eine Quelle entsprang, die zu vier Flüssen wurde (1Mo 2,10- 14), können wir entnehmen, dass der Garten Eden sich topologisch gesehen auf einem in der Höhe gelegenen Gebiet befand. Die Parallele zum Tempelberg liegt hier auf der Hand.
  4. Strom: Der in Eden entspringende Strom findet sein wunderbares Gegenstück in dem Tempel-Strom des Heiligtums nach dem Hesekiel-Bauplan (Hes 47).
  5. Bäume und Blumen: Die Pflanzen im Paradies-Garten finden ihr Abbild in den Palmen und den (aufbrechenden) Blumen im Tempel zu Jerusalem (1Kön 6,18.29.32.35.36; 7,36.49; 2Chr 3,5; 4,21; Hes 40,16.22.26.31.34.37; 41,18.20.25.26).
  6. Gottes Gegenwart: Gottes Gegenwart und Gottes Umherwandeln konnte im Garten Eden auf ganz besondere Weise erlebt werden, wie im Tempel (1Mo 3,8-9; 3Mo 26,11-12).
  7. Cherubim: Die in Verbindung mit dem Tempel so wichtigen Cherubim (z.B. 2Mo 25,18; 26,1.31; 1Kön 6,23.29) hatten im Garten Eden ihre sehr bedeutende Wächterfunktion (1Mo 3,24). Es ist beachtlich, dass die Cherubim in den Mose-Büchern nur in Verbindung mit dem Garten Eden und mit der Stiftshütte Erwähnung finden.
  8. Versperrter Zugang: Die Cherubim, welche den Osteingang des Paradieses bewachten, finden ihr Gegenstück in den Cherubim-Darstellungen auf dem das Allerheiligste verschließenden Scheidevorhang, der ostwärts ausgerichtet war (2Mo 26,31; 2Chron 3,14; vgl. ferner 1Kön 6,32).
  9. Opfer: Wie der Tempel, so war auch der Garten Eden ein Ort der Sühnung und der Stellvertretung: Das allererste Opfer für Sünde wurde im Garten Eden geschlachtet, um die Blöße des sich vor Gott schämenden Menschen zu bedecken (1Mo 3,21).
  10. Kleider: Die Kleider, welche die Blöße vor Gott verbergen sollten, spielten auch im Tempel eine ganz wichtige Rolle (2Mo 20,26).
  11. Heiligkeit: Das Paradies war wie der Tempel ein Ort der Heiligkeit, wo Sünde und Unreinigkeit keinen Platz haben sollte, und wo der mit Sünde Beladenene hinausgetan werden musste (1Mo 3,23; 3Mo 4,12; 16,27).
  12. Gottesdienst: Adams Arbeit im Garten wird mit den Begriffen „bebauen“ ('avad) und „bewahren“ (schamar) als ein Dienst an Gott umschrieben (1Mo 2,5.15). Diese Verben sind in Verbindung mit dem Heiligtum typische den Gottesdienst der Priester und Leviten beschreibende Wörter ('avad: 4Mo 4,24.26.30.37.41.47; 8,11.15.19.22.25.26; schamar: 4Mo 3,7.8.10.28.32.38; 18,3.4.5.7).

Wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts zitiert, waren die Stiftshütte und der Tempel Abbilder und Schatten des wahren Heiligtums, des Himmels (Hebr 8,5; 9,24). Und die Parallelität zwischen Stiftshütte bzw. Tempel und dem Garten Eden zeigt, dass dies auch für letzteren gilt.

Ein Schatten ist eine zweidimensionale Projektion eines dreidimensionalen Gegenstandes, bei der nur der grobe Umriss sichtbar ist. Die Schönheit und das wahre Wesen des Schatten werfenden Objektes lässt sich aus dem Schattenbild nicht ableiten. Ebenso ist es unmöglich, über die Beschreibungen von Stiftshütte, Tempel und Garten Eden die himmlische Wirklichkeit voll zu erfassen. Die einzelnen Elemente (Bundeslade, Altar, Leuchter, Bäume etc.) haben eine direkte Bedeutung (Aufbewahrung der Gesetzestafeln, Opfertisch, Lichtquelle, Nahrungsquelle usw.). Doch darüber hinaus symbolisieren sie auch die himmlische Wirklichkeit – den Himmel selbst.

Durch das Kommen Jesu Christi sind wir in der Lage, einige der alttestamentlichen Symbole besser zu verstehen. Gerade im Tempel bzw. in der Stiftshütte weist vieles auf Christus hin: er ist die Bundeslade, denn Gottes Gesetz war tief in seinem Innern (Ps 40,9; Hebr 10,5-7; Joh 4,34); er ist das Opfer, auf das die vielen Opfer auf dem Altar hinwiesen; er ist das Licht des Lebens, auf das der Leuchter hinwies, usw. usw.

Alle diese Überlegungen zeigen, dass die Bibel voller Symbolik ist – und deshalb ist es durchaus nicht abwegig, auch den Schöpfungsbericht als eine symbolische Beschreibung aufzufassen.