Hängen leiblicher Tod und Sünde zusammen?

Kerstin Marzinzik

Zeigt nicht die Tatsache, dass Jesus leiblich starb, um unsere Sünden zu sühnen und sie zu überwinden, dass leiblicher Tod und Sünde zusammenhängen? Dieser Einwand klingt sehr plausibel. Allerdings steht in der Bibel nicht explizit, dass Jesus starb, weil der leibliche Tod die Folge der Sünde sei.

Was ist der Tod?

Zunächst sei noch einmal betrachtet, in welchem Sinne die Bibel den Ausdruck Tod benutzt:

„Im üblichen Sinn ist mit Tod der Augenblick gemeint, in dem das Sterben eines Menschen seinem Leben ein Ende gesetzt hat. […] Meist jedoch erscheint der Tod über die uns vertraute physisch-medizinische Bedeutung hinaus als eine personhaft gesehene gottwidrige Macht, die als Feind des Lebens dieses bedroht, bedrängt und zerstört.“ (Fritz Rienecker, Hrsg.: Lexikon zur Bibel. Stichwort „Tod“).

Daraus folgt, dass es bei Jesu Tod um mehr als die Überwindung der Sterblichkeit ging: nämlich um den Sieg über die Todesmacht und ihre Vernichtung (obwohl beide Aspekte natürlich eng zusammenhängen).

2.Tim 1,10: […] Christus Jesus, der den Tod zunichte gemacht, aber Leben und Unvergänglichkeit ans Licht gebracht hat durch das Evangelium […]

Hebr 2,14: […] um durch den Tod den zunichte zu machen, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel […]

Der Tod wird auch als Feind bezeichnet:

1.Kor 15,26: Als letzter Feind wird der Tod weggetan.

Die Vernichtung Satans (der ja der Anstifter beim Sündenfall war) sollte durch den Tod geschehen. Er wurde quasi mit seiner eigenen Waffe geschlagen – dem Tod! Warum gerade so?

Blut und Sühnung

3.Mo 17,10-11: Und jedermann aus dem Haus Israel und von den Fremden, die in ihrer Mitte als Fremde wohnen, der irgendwelches Blut isst — gegen die Seele, die das Blut isst, werde ich mein Angesicht richten und sie aus der Mitte ihres Volkes ausrotten. Denn die Seele des Fleisches ist im Blut, und ich selbst habe es euch auf den Altar gegeben, Sühnung für eure Seelen zu erwirken. Denn das Blut ist es, das Sühnung tut durch die Seele [in ihm].

Die Anmerkung der Elberfelder Bibel weist darauf hin, dass im Hebräischen für Seele, Person und Leben das gleiche Wort benutzt wird, so dass man statt „Seele“ auch „Leben“ übersetzen könnte.

Das Leben ist das Kostbarste, was ein Mensch hier auf dieser Erde besitzt. Sobald ein Mensch schwer krank ist, zählt aller Reichtum nicht mehr – dann haben die meisten Menschen (besonders diejenigen, die keine Hoffnung auf das ewige Leben haben) nur noch einen Wunsch: gesund zu werden und noch etwas länger leben zu können.

Hiob 2,4: Da antwortete der Satan dem HERRN und sagte: Haut für Haut! Alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben.

Weil das Leben – und damit das Blut, in dem (bildlich gesehen) das Leben angesiedelt ist – das kostbarste ist, deshalb musste gerade das Blut der Tiere auf den Altar gegeben werden und durfte vom Volk Israel auf keinen Fall gegessen werden. Das zeigt einerseits die enge Verbindung zwischen Sünde und Tod – Sühnung ist ohne Tod nicht möglich:

Hebr 9,22: […] und fast alle Dinge werden mit Blut gereinigt nach dem Gesetz, und ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung.

Andererseits lernen wir aus der Bibel aber auch, dass (Tier-)Blut nicht wirklich ausreicht, um Sünden zu vergeben:

Hebr 10,4: […] denn unmöglich kann Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen.

Sünde hat Auswirkungen in der jenseitigen Welt und deshalb musste ein kostbareres Opfer gebracht werden: das Blut Jesu.

Mt 26,28: Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.
Joh 1,7: […] das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von jeder Sünde.

Letzten Endes können wir nicht verstehen, warum Jesus ausgerechnet sterben musste, um Satan, Sünde und Tod zu besiegen und ob es nicht einen „leichteren“ Weg hätte geben können bzw. warum es ihn nicht gab. Dazu fehlen uns genauere Kenntnisse über die unsichtbare Welt. Aber auf jeden Fall wird so deutlich, wie schwerwiegend Sünde in Gottes Augen ist und welch einen hohen Preis er zu zahlen bereit war, um uns davon zu erlösen! Wer wäre schon bereit, seinen einzigen Sohn zu Gunsten anderer zu opfern?

Die Bedeutung von Jesu Menschsein

Hebr 2,9: Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch Gottes Gnade für jeden den Tod schmeckte.

Hebr 2,14-18: Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran Anteil gehabt, um durch den Tod den zunichte zu machen, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und um alle die zu befreien, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren. Denn er nimmt sich doch wohl nicht der Engel an, sondern der Nachkommenschaft Abrahams nimmt er sich an. Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er barmherzig und ein treuer Hoherpriester vor Gott werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen; denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht worden ist, kann er denen helfen, die versucht werden.

Diese Bibelverse zeigen, dass Jesus nicht (nur) deshalb Mensch wurde und leiblich starb, um den leiblichen Tod zu besiegen, sondern auch darum, weil wir Menschen sind. Jesus sollte nicht die Engel erlösen (Hebr 2,16), sondern Menschen. Deshalb wurde er Mensch und führte den Kampf gegen den Tod auf „menschlicher Ebene“ und in menschlicher Gestalt. Er wurde uns gleich gemacht, was gleichzeitig noch den Effekt hat, dass Jesus durch seine verschiedenen Leiden auch unsere Leiden und Versuchungen verstehen kann und dadurch ein barmherziger Hoherpriester für uns vor Gott sein kann.

Außerdem wollte Jesus uns den Vater offenbaren. Es ist quasi das Bild Gottes in menschlicher Dimension. Jesus hat durch sein Leben ganz praktisch gezeigt und gelehrt, wie Gott ist. Auch der „beste“ Mensch hätte das nicht so gut gekonnt wie ER – der Mensch gewordene Gott.

Joh 14,9: Jesus spricht zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Und wie sagst du: Zeige uns den Vater?

Die leibliche Dimension von Jesu Tod und Auferstehung

Kommen wir nach diesen allgemeinen Ausführungen über die Bedeutung von Blut und Tod auf unsere Ausgangsfrage zurück: Zeigt das leibliche Sterben Jesu nun, dass der Sündenfall (auch) den leiblichen Tod zur Folge hatte?

Dem sei zunächst eine Gegenfrage gegenübergestellt: Wie hätte Jesus sonst sterben sollen? Angenommen, der Sündenfall hat nur den geistlichen Tod bewirkt – hätte Jesus dann geistlich sterben sollen oder müssen, um den geistlichen Tod zu überwinden? Diese Vorstellung bringt einige Probleme mit sich: Zunächst bleibt fraglich, ob Jesus überhaupt geistlich sterblich war, denn er hat trotz seines Menschseins nie aufgehört, Gott zu sein; er war in seinem ganzen Wesen völlig sündlos (1.Pt 2,22; Hebr 4,15, 7,26) und konnte daher eigentlich gar nicht geistlich sterben.

Ferner kommt hinzu, dass ein „geistliches“ Sterben und „Auferstehen“ Jesu wohl nicht beobachtbar gewesen wäre. Gott handelt in der Regel aber so, dass er den Menschen geistliche Dinge durch irdische Vorgänge sichtbar macht. So diente der ganze alttestamentliche Gottesdienst dazu, die Notwendigkeit von Stellvertretung (Tiere starben anstelle von Menschen) und die Bedeutung des Blutvergießens zur Reinigung und Sündenbedeckung deutlich zu machen – bis eben das vollkommene Opfer käme, das weitere (Tier-)Opfer überflüssig machen würde. Überhaupt ist der ganze Aufbau von Paradies, Stiftshütte und Tempel eine Abbildung des Himmels (siehe den Artikel „Hinweise auf symbolische Elemente im Schöpfungsbericht“).

2.Mo 25,40: Und sieh zu, dass du [alles] nach ihrem Urbild machst, das dir auf dem Berg gezeigt worden ist!

Hebr 8,5: [… Priester …] – die dem Abbild und Schatten der himmlischen Dinge dienen, wie Mose eine göttliche Weisung empfing, als er im Begriff war, das Zelt aufzurichten; denn »Sieh [zu]«, spricht er, »dass du alles nach dem Muster machst, das dir auf dem Berge gezeigt worden ist!«.

Hebr 9,24: Denn Christus ist nicht hineingegangen in ein mit Händen gemachtes Heiligtum, ein Abbild des wahren [Heiligtums], sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen

Da also die ganzen alttestamentlichen Einrichtungen Abbilder himmlischer Dinge sind, wäre es auch vorstellbar, dass Jesu leiblicher Tod und Auferstehung vor allem dazu dienen sollte, den Sachverhalt des geistlichen („himmlischen“) Sterbens und Auferstehens der Glaubenden sichtbar und greifbar zu machen.

Kol 2,11-13: In ihm [Christus] seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschehen ist, [sondern] im Ausziehen des fleischlichen Leibes, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in ihm auch mit auferweckt durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat. Und euch, die ihr tot wart in den Vergehungen und in dem Unbeschnittensein eures Fleisches, hat er mit lebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat.

Die Glaubenden sind gemäß obiger Bibelstelle beschnitten – nicht leiblich, sondern geistlich! Die christliche Taufe symbolisiert das Sterben und Auferstehen der Glaubenden mit Christus, die einst tot waren, aber mit ihm lebendig gemacht wurden – alles ebenfalls geistlich!

1.Pt 3,18: Denn es hat auch Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe, zwar getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.

Diese Bibelstelle weist darauf hin, dass Jesus „nach dem Fleisch“ getötet wurde, d. h. sein Sterben fand in der „fleischlichen Dimension“ statt. Seine Auferstehung geschah dagegen „nach dem Geist“, d. h. in einer „geistlichen Dimension“. Sein Auferstehungsleib hatte eine fleischliche Komponente; deshalb konnte er ausgewählten Glaubenden nach der Auferstehung erscheinen und Nahrung zu sich nehmen (Lk 24,41-43). Aber sein Leib besaß auch eine „geistliche Komponente“. Deshalb wurde er manchmal nicht sofort erkannt (z. B. Lk 24,16+37). Und deshalb konnte er durch verschlossene Türen gehen (Joh 20,19). Jesus wurde Mensch, weil wir Menschen sind. Und deshalb starb er leiblich – aber wurde „leiblich-geistlich“ auferweckt. Auch unser Leben wird nach der Auferstehung eine neue Dimension erlangen; Jesus beschrieb das mit dem Ausdruck „den Engeln gleich“:

Lk 20,35-36: [Jesus sprach:] die aber, die für würdig gehalten werden, jener Welt teilhaftig zu sein und der Auferstehung aus den Toten, heiraten nicht, noch werden sie verheiratet; denn sie können auch nicht mehr sterben, denn sie sind Engeln gleich und sind Söhne Gottes, da sie Söhne der Auferstehung sind.

Die zuvor zitierte Bibelstelle 1.Pt 3,18 erklärt nicht, warum Jesus fleischlich sterben und nach dem Geist auferweckt werden musste, aber sie weist darauf hin, dass dies der Weg ist, um uns zu Gott zu führen. Der Vers davor (1.Pt 3,17) weist darauf hin, dass Jesus damit auch für uns ein Vorbild geworden ist; auch wir sollen (wie er) bereit sein, für Gutes zu leiden!

Das leibliche Sterben und Auferstehen Jesu ist gleichzeitig die Garantie, dass wir leiblich auferstehen werden.